„Naumburg ist Bierstadt“, so lautet Anfang August eine Veranstaltung auf dem Naumburger Holzmarkt, mit der der jahrhundertealten Naumburger Bierbrautradition gedacht wird.
Informationen über die hiesige Brautradition verdanken wir u. a. dem früheren Stadtschreiber und Oberbürgermeister Sixtus Braun (1550-1614), dem ehemaligen Lehrer, Leiter des Heimatmuseums und des Stadtarchivs Friedrich Hoppe (1879-1959) und Eberhard Kaufmann, der leider kürzlich verstorben ist.
Der schlechte inländische Wein, mit vielen Kräutern, Gewürzen und Honig versetzt, war wohl die Ursache dafür, dass die Bürger um das Jahr 1300 begannen, hier Bier zu brauen. Schon fünf Jahre später führte der Rat der Stadt eine Biersteuer ein, die offensichtlich so hoch war, dass noch 1377 berichtet wird, es seien nur wenige Bürger gewesen, die sich das Vergnügen leisten könnten, selbst zu brauen.
Später wurde trotzdem immer mehr gebraut und die Bürgerschaft konnte aus dem Bierverkauf reichen Gewinn erzielen. Das rief natürlich Neider auf den Plan, die auch etwas am Bierverkauf verdienen wollten. „Die geistlichen Leute fingen an, Bier zum Verkauf zu brauen. Darum wurde seitens des Rates 1363 bestimmt, dass Domherren und Geistliche nur zu ihrem eigenen Bedarfe brauen sollten.“
Die Bierbrauerei wurde seitens der Stadt streng überwacht. Nicht nur der Beginn der Brauzeit wurde amtlich festgesetzt, sondern der Rat ließ es sich auch nicht nehmen, das gebaute Bier „zu besichtigen“, wie Sixtus Braun vom Jahre 1394 berichtet.
Brauen durften damals alle steuerzahlenden Naumburger Hausbesitzer. Wenn sie über keine eigenen Möglichkeiten zum Brauen verfügten, konnten sie sich eines der zahlreichen Mietbrauhäusern in der Stadt bedienen.
Dagegen war in den Dörfern der Region das Brauen nach der kurfürstlich sächsischen Landesordnung von 1555 untersagt. Gegen Verstöße ging man unnachsichtig vor. Überliefert ist u. a., dass am 25. November 1644 der Stadtvogt mit einer Schar von 50 mit Musketen, Spießen und Äxten bewaffneten Bürgern nach Eulau zog, um das neue Brauhaus des Herrn von Taubenheim zu zerstören.
In der Blütezeit der Naumburger Bierbrauerei gingen „täglich zu allen Toren Naumburgs ganze Fuder Bieres hinaus. Es wurde weit und breit und der Sage nach sogar bis Rom gebracht.“
Häufig wurden auch Ehrengeschenke in Form von Naumburger Bier überreicht. Geistliche und weltliche Herren, Äbte, Grafen, Bischöfe, Herzöge, ja sogar Könige und Kaiser wurden damit bedacht. Um den Bierabsatz zu gewährleisten, reichten solche Ehrengeschenke allein nicht immer aus. Nachdem zum Beispiel der Herzog von Sachsen durch strenge Zollmaßregeln den Naumburger Bierhandel lahm gelegt hatte, konnte er 1455 diesbezüglich umgestimmt werden, nachdem ihm persönlich 875 Gulden und an seine Kanzlei 20 Gulden gezahlt wurden.
Die Rezeptur des Naumburger Bieres ist nicht bekannt, es soll ein schwarzes, bitteres Gebräu gewesen sein. Ob uns das heute geschmeckt hätte ist fraglich. Man weiß nur, dass der Hopfen auf den Feldern am Kalten Hügel, dem Spechsart, Ziegelgraben, bei Grochlitz und an der Schweinsbrücke angebaut wurde. Bis heute bekannt ist aber der Ruf des Naumburger Bieres. Im Mittelalter ging das Sprüchlein durch die deutschen Lande: „Naumburger Bier ist der Thüringer Malvasier.“ (Malvasier ist eine der ältesten Rebsorten. Sie liefert sortenreine Weißweine und Likörweine.)
Im Verlaufe des 17. bis 19. Jahrhundert sank allmählich der Gewinn, der mit der Bierbrauerei zu machen war. Das „dämpfte den Eifer und die Sorgfalt für das Brauwesen.“ Die Ursachen des Verfalls der einst so blühenden Bierbrauerei „erklären sich einmal daraus, dass der Gerstentrank altmodisch geworden war. Der Bürger gewöhnte sich wieder an den perlenden Wein, an den lieblich duftenden Kaffee und den alles bezaubernden Schnaps. … Zu all dem trat als anderer Grund für den Niedergang unsres Brauwesens der Umstand, dass man in den meisten deutschen Städten selbst gelernt hatte, gutes Bier zu brauen.“
Um dem veränderten Geschmack Rechnung zu tragen und den Bierkonsum zu heben, fing man 1776 sogar an, Bayrisches Bier zu brauen. Da es aber nicht dem Geschmack der Bürger entsprach, außerdem „Kopfschmerzen erregte“, hörte diese Brauart mit dem Beginn des Jahres 1789 wieder auf. Auch der Wechsel im Braumeisteramt, zu dem man 1785 einen Böhmen berief, vermochte sich nicht bessernd auf die Güte des Bieres auszuwirken. So gestattete man ab Ende des 18. Jahrhunderts sogar stillschweigend die Einfuhr fremder Biere.
Anfang des 19. Jahrhunderts schlugen mehrere Versuche der Stadt, das Braurecht zu verpachten bzw. selbst zu betreiben, fehl. Mit der Einführung der preußischen Gewerbeordnung gab es schließlich keine rechtliche Handhabe mehr für die Erhebung eines Braupachtzinses und eine wichtige Einnahmequelle der Stadt versiegte.
Hatte man 1622 noch 11 Brauhäuser in der Stadt und 5 in der Domfreiheit, so gab es 1822 nur noch 2 Brauereien: die „Grüne Tanne“ am Othmarsweg im Besitz von Johann Daniel Starke und den „Brauhof“ im Vorgängerbau des heutigen Hotels „Zur alten Schmiede“ im Besitz von Herrn Scheufler. Letzterer ging später auch in den Besitz der Familie Starke über, die 1842 dort ein Malz- und Gärhaus errichten ließ.
1870 erwarben Höltz, Thienemann, Arends, Voß und Mundt den „Brauhof“ und errichteten eine Genossenschaftsbrauerei, die 1880 von Starkes Nachfolger, dem Brauereibesitzer Berthold mit dem Brauhof „Zur grünen Tanne“ vereinigt wurde. Berthold verwaltete mit seinem Schwager Hartung das umfangreiche Brauereiunternehmen, von dem 1909 auch die letzte andere größere Brauerei Naumburgs, die Firma Lindner geschluckt wurde. Drei Jahre später war es mit Hartung & Berthold allerdings vorbei, ein Großfeuer zerstörte in der Nacht vom 27. zum 28. Juli 1912 ihre Brauerei, die nicht wieder aufgebaut wurde.
Wäre da nicht die Hennenbrauerei gewesen, hätte schon damals die Naumburger Brautradition geendet. Diese ging aus dem Privatbesitz von Carl Schröder hervor, der am 18. Oktober 1859 die Eröffnung einer Brauerei an der Henne beantragte, die ab 1913 „Brauerei zur Henne Adolf Schröder“ hieß. 1939 wurde daraus die Hennenbrauerei AG und 1972 die Hennenbrauerei, die 1990 dann geschlossen wurde.
Wie schon im Mittelalter, so versuchten auch in der Neuzeit die Städte über die Besteuerung des Bieres, Einnahmen zu erwirtschaften. Im Sommer 1883 war es auch in Naumburg wieder mal soweit. Der Magistrat stellte in der Stadtverordnetenversammlung den Antrag, eine Biersteuer zu erheben. Er begründete das Ansinnen damit, dass der Stadt eine ganze Reihe dringender und kostspieliger Arbeiten bevorstehen: Erweiterung des Krankenhauses, Abputz des Rathauses, Wasserleitung vom Michaelisholz nach der Domfreiheit, Erneuerung des Bürgersteigs in der Jakosbstraße, Pflasterung der Michaelis-, Moritz-, Bürgergartenstraße und größere Schul-Neu- und Umbauten. Von den hier gebrauten Bieren sollte ein Zuschlag von 50 % zur staatlichen Braumalzsteuer und von den von auswärts eingeführten Bieren eine Abgabe von 65 Pfg. pro Hektoliter erhoben werden. Man versprach sich davon eine jährliche Einnahme von 10.000 Mark. Mit 9 gegen 8 Stimmen wurde der Antrag nach längerer Diskussion angenommen. Den erhöhten Bierpreis gaben die Brauer natürlich an die Wirte weiter. Die Endverbraucher, also die Biertrinker, zahlten allerdings die Zeche. Zwar wurde der Preis pro Bierglas nicht erhöht, aber statt der bis dahin üblichen 0,5-Litergläser wurden nun nur noch 0,4-Litergläser ausgeschenkt.
Weil der Bierpreis in Deutschland früher das war, was heute der Benzinpreis ist, nämlich ein gesellschaftliches Reizthema, führten Bierpreiserhöhungen in Deutschland immer mal wieder zu als Bierkrieg oder Bierstreit bezeichneten Auseinandersetzungen. Davon sind eine ganze Reihe überliefert. Zwei Beispiele seien hier genannt. 1907 führte der Versuch der Bamberger Brauereien, den Preis für 0,5 Liter Bier von 11 auf 12 Pfennige zu erhöhen, zum Bamberger Bierkrieg. Die schockierten Bamberger kauften nur noch billigeres Bier von auswärts und zwangen damit die einheimischen Brauereien, die Preiserhöhung zurückzunehmen. Als 1910 der Preis einer Maß Bier von 24 auf 26 Pfennige erhöht wurde, kam es in Dorfen (Oberbayern) zum Bierboykott. Obwohl Brauereien ihre Ware teilweise wegschütten mussten, gaben sie nicht nach bis die empörte Bevölkerung schließlich zu drastischen Mitteln griff und einige Brauereien anzündete. Mehrmonatige Gefängnisstrafen waren die Folge, aber erst nach einer Preissenkung beruhigte sich die Lage.
Auch Naumburg hat einen Bierkrieg erlebt. Als es 1909 mal wieder zu einer Bierpreiserhöhung infolge Steuererhöhung kam versammelten sich ca. 600 Einwohner in der Gaststätte „Zum schwarzen Adler“ (bis 1918 in der Georgenstraße ansässig). Sie forderten, dass diese Steuererhöhung „nicht von den Trinkern allein getragen werde dürfe, sondern dass auch der Brauer einen Anteil übernehmen solle.“ Die Versammlung empfahl allen Biertrinkern, den Genuss von Bier so lange zu meiden, bis eine allseitige Verständigung über den Preisaufschlag erfolgt sein würde. Es wurde eine „Kommission von fünf Herren gewählt, die sich mit den Brauereien über den Bierpreis ins Einvernehmen setzen solle.“ Fünf Tage später erstattete die gewählte Kommission auf einer weiteren Versammlung Ende August Bericht über ihre Verhandlungen mit den Brauereibesitzern. Diese lehnten eine Herabsetzung des Bierpreises wegen der allgemeinen Verteuerung der Rohstoffe usw. ab. Von der Mehrheit der Versammlungsteilnehmer wurde daraufhin eine Erklärung angenommen, in der dazu aufgerufen wurde, sich bis zur Herabsetzung des Bierpreises des Biergenusses zu enthalten und auch im Bekanntenkreisen dafür zu wirken. Damit wurde der Bierkrieg erklärt.
Der Naumburger Bierkrieg blieb zum Glück gewaltfrei, endete aber mit einer Niederlage der Biertrinker. Am 22.10.1909 war dazu im Kreisblatt zu lesen: „In der Angelegenheit des hiesigen Bierkrieges ist nunmehr nach achtwöchigem Kriegszustande, während dessen unzählige Flaschen alkoholfreier Getränke entleert worden sind, endlich Frieden geschlossen worden. Eine Versammlung im ‚Adler‘ beschäftigte sich gestern Abend mit der jetzigen Sachlage, welche nicht allzu günstig erscheine, da durch die längere Dauer viele abtrünnig geworden seien. Es wurde infolgedessen die Aufhebung des Bierboykotts beschlossen, von dem allgemein erhofften Erfolg ist daher hier nichts zu verspüren, denn in den meisten Schankstätten müssen, bei stellenweise kleineren Gläsern, die erhöhten Bierpreise gezahlt werden.“
Seit 2014 wird nun in Naumburg wieder Bier gebraut. Zunächst im Ratskeller, seit 2022 im Braugasthaus und auch der Verein „Naumburger Maischter“ verwöhnt seit 2017 unseren Gaumen mit wohlschmeckendem Gerstensaft. Hoffen wir, dass es noch lange so bleibt.
Zum Wohl!