1000 mal Naumburg an der Saale

1000 Geschichten

Der letzte Droschkenkutscher von Naumburg oder Zeiten ändern sich

Von

Horst Wahlbuhl (bearbeitet von Thomas Wahlbuhl)



Wer kennt ihn nicht mehr? Noch sehen wir ihn fast jeden Sonnabend mit der Hochzeitskutsche. Dann trugen die Pferde stolz das Riemenzeug und ein Sträußchen am Stirnriemen. Die Kutsche war mit Myrtenzweigen und –kränzchen ausgeschmückt. Mit dem Hochzeitsanzug saß er auf dem Bocke und zügelte sein Gefährt vom Brauthause zur Kirche und zurück. Er war ein kleiner Mann, stets froh und munter, und er konnte keinem Menschen etwas zuleide tun.

In jungen Jahren arbeitete er im Ross-Hotel als Portier uns später durfte er die Kutsche des Hoteliers fahren. Die Liebe zu seinen Pferden ließ ihn zu dem Entschluss kommen, selbst welche zu besitzen und als Droschkenkutscher seine Zukunft zu sichern. So kaufte er von seinen schwer ersparten ersten Talern zwei schöne kräftige Füchse und eine Kutsche. Seine Ehefrau Bertchen, eine kleine und flinke Frau, half ihm dabei und achtete darauf, dass er immer pünktlich war. Sein Kundenkreis wuchs und wuchs und bald sah man unseren Reinhold mit einer Neuanschaffung eines zweirädrigen Kutschenwagens durch die Gegend fahren. Als der Winter seinen weißen Mantel für Mutter Erde ausbreitete, da wurde auch ein Schellenschlitten gekauft und lustig trabten die Pferde in die weitere Heimat. Die Liebe zu seinen Pferden war riesengroß und diese kannten von ihrem Herrn keine Peitsche, auf ein Wort trabten sie oder fielen in Schritt. Wenn ein Pferd erkrankte, pflegte er es mit aller Sorgfalt nach genauer Anordnung des Arztes, gönnte sich dann keine Nachtruhe. Starb ein Tier und es musste der Abdecker geholt werden, dann waren das für ihn äußerst traurige Momente.

An einem lauen Sommerabend fuhr Vater Röder seine Gäste nach Bad Kösen und Bad Sulza. Am Endziel wurde er entlohnt und nach einer Stärkung fuhr er zurück. Längst hatte er Bad Kösen hinter sich gelassen und musste wohl in Träume verfallen sein, als ihn das plötzliche Halten seiner Pferde munter machte. Ein Kerl war den Tieren in die Zügel gefallen und zwei Männer versuchten von jeder Seite auf den Bock zu kommen. Vater Röder erkannte sofort was los war. Kurz entschlossen griff er zur Peitsche, schlug die Pferde, welche – keine Peitsche kennend – scheuten und den einen Banditen überrennend, davonjagten. Einen anderen traf ein Fausthieb, so dass er zurücktaumelte, während der letzte durch das plötzliche Anziehen der Pferde von dem kleinen Tritt abrutschte, auf ein Wagenrad fiel und ein Stück mitgeschleift wurde, bis er endlich liegen blieb. Die Pferde jagten nur so dahin und erst der Almricher Berg ließ sie in Schritt fallen. Als Vater Röder aufgeregt zuhause ankam, die Pferde schäumten, fragte seine Frau ganz besorgt, was denn geschehen sei. Aber er meinte lächelnd: “Off mein Geld oder off meine Hottchen hatten s`s abgesehen, aber die überfallen keinen Droschkenkutscher widder“.

Jahrzehnte fuhr Vater Röder. Am Bahnhof hielt er mit seinen Berufskollegen, Bergmanns Nanden, Vater Tänzer und Vater Naumann. Dort warteten sie auf Reisende, die mit der Kutsche nach Hause fahren wollten. War ein Begräbnis in der Stadt, so erhielten die Pferde schwarze Umhänge, Vater Röder setzte sich einen alten Dreieckshut auf, welcher an den alten Fritz erinnerte und dann fuhr der Leichenwagen zum Begräbnis. An den Seiten der Kutsche liefen dort Leichenräumer mit ihren langen schwarzen Mänteln und kardinalsähnlichen Hüten. Daran schloss sich dann der ganze Leichenzug an. Wie viele hatte er schon hinausgefahren fragte sich Vater Röder manchmal und auch, wann er wohl selbst dran sei. Aber er war noch rüstig und nicht alt, nur ein asthmatisches Leiden machte sich bemerkbar.

Dann kam das Auto als Kraftdroschkenkutsche auf und verdrängte nach und nach das Pferd. Von den acht Droschkenkutschern fuhren nur noch zwei. Vater Röder lernte noch das Autofahren, aber er konnte es nicht mehr ausüben als motorisierter Kutscher. Er kaufte zwar noch einige motorisierte Pferdestärken, aber seine leiblichen Pferde verließ er nicht. Als sein Sohn mit in den Betrieb kam herrschte reges Leben. Sein Sohn fuhr die Autodroschke und er die Pferdedroschke. Jetzt war er der letzte und einzige Droschkenkutscher in Naumburg. Aber auch diese sollte noch verschwinden. Die Pferdchen hatten gerade noch so viel zu fahren, dass sie ihr Futter verdienten. Als sie dann fast nur noch Hochzeiten fuhren, musste sich Vater Röder schweren Herzens entschließen, seine lieben Pferde zu verkaufen. Noch einmal putzte er seine Lieblinge „Amor“ und „Roma“. Schmuck und stolz stampften sie ungeduldig beim Verkauf, als wüssten sie, dass sie Abschied nehmen mussten. Als der Kauf abgeschlossen war, streichelte der nun schon 65-jährige noch einmal seine „Hottchen“, dann kam er mit ans Tor und schaute seinen Pferden lange nach. Als sie seinen Blicken entschwunden waren, holte er tief Luft und ging in den nun leeren Stall zurück und trocknete seine Augen.

Seit diesen Tagen gab es keinen Droschkenkutscher mehr. Es fuhren dann nur noch Autos. Vater Röder hat sich dabei nie so recht wohlgefühlt, auch als er noch mitarbeiten konnte. Der Umschwung belastete den Betrieb und er schaute zuletzt trübe in die Zukunft. Plötzlich erkrankte er und erlag 14 Tage später einer Lungenentzündung und starb. Ich glaube, sein letzter Wunsch wäre gewesen, dass man ihn mit seinen Pferden zum Friedhofe führe. Aber anstatt der Pferde stand ein Auto – ein fremdes Auto – vor der Tür und fuhr ihn hinaus zur letzten Ruhe. Doch lange sollte er nicht allein sein, seine Frau folgte ihm bald nach. Der letzte Naumburger Droschkenkutscher lebt nur noch in der Erinnerung.

Dieser Beitrag wurde von meinem Großvater Horst Wahlbuhl im Jahr 1937 nach dem Tod seines Großvaters und seiner Großmutter geschrieben. Als der 2. Weltkrieg ausbrach kamen nochmal Pferdedroschken auf, weil im Krieg Autos und Kraftstoff benötigt wurden. In den 1930-er Jahren bekam Reinhold Röders Frau Bertchen eine schwere Nervenkrankheit. In dieser Schattenzeit sprach sie oft von einer großen Katastrophe, von fliegenden feuerspeienden Vögeln, von brennender Erde und anschließender großer Not, sie ahnte den 2. Weltkrieg wohl voraus, welcher wenige Jahre später die halbe Erde erbeben ließ. An einem schweren irren Tage schied sie selbst aus dem Leben. 

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