1000 mal Naumburg an der Saale

1000 Geschichten

900-Jahrfeier Naumburg 1928

Von

Gerd Henschel

Naumburgs 900-Jahrfeier

Die Vorbereitungen begannen damals wohl 1926, als im Jahresbericht des Vereins für Heimatgeschichte auf die Erinnerungsfeier hingewiesen wurde. Man war darauf bedacht, die Bürgerschaft auf das nahende Fest hinzuweisen, für den Plan zu werben und die Allgemeinheit aufzuklären. Außerdem arbeitete der Innungsausschuss des Handwerks unter Vorsitz von Oskar Körner daran, das Wirtschaftsleben der Stadt durch die Unterstützung der Maßnahmen des Magistrats zur Ausgestaltung der Feier neu zu beleben. Ohne den Entschlüssen des Magistrats vorgreifen zu wollen, veröffentlichte der Heimatverein am 9. Mai 1927 einen Sitzungsbericht, in dem von den Mitgliedern eine Reihe von Anregungen für die Ausgestaltung des Jubiläums gegeben wurden. Man wollte damit die öffentliche Kritik herausfordern und die Vorbereitungen in Gang bringen. Dabei war man sich bewusst, dass sich nur ein Teil der Vorschläge verwirklichen ließe. „Der Grundgedanke der Feier soll nicht Festtrubel sein, sondern Belebung von Handel und Wandel und Werbung für das schöne Naumburg. Darum soll das ganze Jahr 1928 im Zeichen der Jubelfeier stehen.“

Folgende Veranstaltungen wurden vorgeschlagen:

  1. In der Nacht zum 1. Januar 1928 ein Neujahrs-Singen auf dem Markt und ein Gottesdienst.
  2. Im Februar eine Naumburger Musikwoche.
  3. Zur Osterzeit: ein mittelalterliches Musikfest nach der von Luther 1537 bestätigten Naumburger Kirchenordnung.
  4. Ende April: die 300-Jahr-Feier der Kramer- Innung.
  5. Am Sonnabend vor Pfingsten: Mittelalterliches Ruten- oder Quellenfest im Buchholz und Schmückung der Wenzelskirche mit Maien.
  6. Im Juni: Johannisfest.
  7. In der Kirschfestzeit: ein großes Heimatfest mit Festzug.
  8. Anschließend eine Handwerks-Ausstellung (besonders historische Entwicklung des Handwerks).
  9. Eine Burgenfahrt zur Schönburg.
  10. Ein Flurzug.
  11. Ein Jugendtreffen des Regierungsbezirks.

Im Einzelnen wurde erwogen,

  • auf dem Kaiser-Friedrich-Platz (heute Heinrich-von-Stephan-Platz) eine Festhalle mit Nebenräumen zu erstellen, sowie eine Marientorklause im Torgebäude,
  • die leere Nische des Rathauses an der Herrenstraße-Marktecke mit den Schutzpatron Naumburgs, St. Wenzel, zu schmücken,
  • ein Festspiel auf einer Freilichtbühne aufzuführen,
  • einen Abreiß- und einen Heimatkalender anzufertigen,
  • eine Lichtreklame „1028-1928 900-Jahr-Feier Naumburg“ am Bauernweg aufzustellen,
  • mit Poststempelreklame und Jubiläumstalern den Fremdenzuzug zu fördern.

Auf einer Versammlung Ende Juli 1927 im „Schwarzen Ross“ beschlossen die Obermeister der Innungen, die Gewerbetreibenden und die Vertreter anderer Wirtschaftsgruppen eine „Naumburger Handwerks-, Gewerbe- und Gartenbau-Ausstellung“ unter dem Namen „Nauha“ zu organisieren, die den historischen Zusammenhang mit dem Naumburger Kirschfest erkennen lassen müsse und daher in den Kirschfestzelten unterzubringen sei. Diese solle vor dem Kirschfest stattfinden.

Zur Vorbereitung wurde ein 16-köpfiger Arbeits-Ausschuss gewählt. Am 30. Juni 1927 befasste sich die Stadtverordnetenversammlung erstmalig mit der Feier, beschloss die Bildung eines gemischten Ausschusses zwecks Vorbereitung der Festlichkeiten und wählte die in den Ausschuss zu entsendenden Mitglieder. In ihrer Sitzung am 8. September 1927 bewilligte sie 5.000 Mark für die Vorbereitung der Feier. Als Festtage wurden der 22. bis 24. Juni 1928 festgelegt. Der Magistrat verhandelte inzwischen mit der Staatsmünzenanstalt wegen der Prägung von Jubiläums-Dreimarkstücken und mit der Postverwaltung wegen Reklamepoststempeln. Obwohl aller verschwenderischer Aufwand unterbleiben und größte Sparsamkeit herrschen sollte, schätzte man die Kosten für die Feierlichkeiten auf rund 50.000 Mark, wovon 13.000 Mark durch Einnahmen wieder gedeckt werden sollten. Zur Information der Einwohner veröffentlichte der Magistrat am 15. November 1927 auf der Basis der bisherigen Beratungen des Festausschusses folgende Bekanntmachung. Damit schien alles in sichere Bahnen geleitet zu sein.

Naumburgs 900-Jahrfeier Teil 2:
Erst Absage aller Feierlichkeiten, dann doch neue Hoffnung

Die Glocken der Naumburger Kirchen läuteten das Jubeljahr 1928 festlich ein. Um die Mittagsstunde des Neujahrstages gaben die vereinigten Gesangsvereine im deutschen Sängerbund der Gruppe Naumburg mit über 300 Sängern auf den Markt bei starker Winterkälte ein Konzert. Das Naumburger Tageblatt erschien vom 1. Januar 1928 ab das ganze Jahr hindurch mit einer wirkungsvollen Titelaufschrift und wies außerdem durch einen heimatlichen Wandkalender auf die festlichen Ereignisse des neuen Jahres hin. In der ersten Ausgabe des Tageblatts im neuen Jahr erschien eine vom Oberbürgermeister Dietrich verfasste verfassungsgeschichtliche und kommunalpolitische Betrachtung des Stadtgebietes. Heinrich Sieling begründete in einer historischen Abhandlung, warum gerade 1928 das Stadtjubiläum begangen wird.

Am 26. Januar 1928 brachte der Magistrat eine Vorlage in die Stadtverordnetenversammlung ein, die das vom Festausschuss und seinen zahlreichen Unterausschüssen vorgeschlagene, vom Magistrat aus Gründen der Sparsamkeit aber bereits eingeschränkte Programm der Festlichkeiten vorsah. Diese Vorlage wurde in der Stadtverordneten-Sitzung vom 2. Februar 1928 zurückgewiesen. In einer nicht-öffentlichen Sitzung fassten die Stadtverordneten stattdessen folgenden Beschluss: „Die 900-Jahr-Feier der Stadt soll mit Rücksicht auf die schweren wirtschaftlichen Verhältnisse in bescheidenem Rahmen begangen, in besonderen soll von einem historischen Festzuge abgesehen werden; über die Feier im einzelnen erfolgt im übrigen noch besondere Beschlussfassung.“

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich daraufhin durch all die großen deutschen Zeitungen, die bereits auf die 900-Jahr-Feier hingewiesen hatten, die Tragödie von der abgeblasenen Jubelfeier in Naumburg. Die Bürgerschaft, die von der 900-Jahr-Feier eine Belebung des Wirtschaftslebens erhoffte und der daran gelegen war, ihre Heimat weiten Kreisen noch bekannter zu machen, versuchte nun aus eigener Kraft, einen Festumzug zu organisieren. Am 18. Februar 1928 veröffentlichten namhafte Bürger einen Aufruf an die gesamte Bürgerschaft, an sämtliche Berufsorganisationen und Vereine, mit Spenden diese Bemühungen zu unterstützen. Dieser Aufruf fand leider nicht das erwartete Echo. Als nächstes versuchte die Kramer-Innung mit einem Schreiben an den Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung, über das am 20. März 1928 berichtet wurde, vielleicht einen Teil der Feierlichkeiten zu retten, in dem sie wenigstens für einen Hussiten-Festumzug am Sonntag vor dem Kirschfest warb. Doch auch diese Initiative blieb ohne Erfolg.

Um doch noch eine 900-Jahrfeier durchführen zu können, versuchte der Magistrat noch einmal, mit einem auf rund 18.000 Mark reduzierten Kostenvoranschlag die Stadtverordneten dafür zu gewinnen. Da sich die Anfragen und Wünsche für einen Festzug immer mehr häuften wurden die Stadtverordneten außerdem dazu aufgefordert, nochmals die Veranstaltung eines Festzuges zu beraten. Dieser würde allerdings die Kosten um 17.500 Mark erhöhen, abzüglich der erwarteten Einnahmen von 10.000 Mark.

Doch alle Bemühungen blieben vergebens, die Mehrheit der Stadtverordneten sah in der Versammlung am 22. März 1928 keinen Anlass, ihren ablehnenden Beschluss von früher zu ändern. Damit wurden keine Mittel für den Festumzug, das geplante Festspiel, ein Marktfest und ein Festbuch bewilligt. Lediglich für den Vorschlag des Finanzausschusses, im Festmonat den Altersrentnern, Kleinrentnern, Sozialrentnern und Ortsarmen den doppelten Unterstützungsbeitrag zu gewähren sowie für den Aufbau einer stadtgeschichtlichen Ausstellung gab es eine Zustimmung. Darüber hinaus wurden noch 2.000 Mark für das Kinderkirschfest genehmigt. Daraufhin musste der Magistrat alle Vorbereitungsarbeiten einstellen und traf dem Stadtverordneten-Beschluss entsprechend lediglich die Vorbereitungen für den KinderKirschfestzug.

Plötzlich kam neue Hoffnung auf, dass es doch noch Feierlichkeiten geben könnte. Eine Versammlung am 2. April 1928 von Vertretern der Naumburger Handwerkerschaft unter der Leitung von Obergildenmeister Oskar Körner beriet nämlich über die Ende Juli 1927 beschlossene Ausstellung „Nauha“ und die Veranstaltung eines Festumzuges und beschloss, diesen als Eröffnung der „Nauha“ durchzuführen. Es war ein gewagtes Unternehmen, eine solche Veranstaltung ohne verfügbare Mittel einzuleiten. Ein nochmaliger Hilferuf an die Stadt blieb ohne Erfolg. Also galt es auf anderem Wege die notwendigen Mittel zu beschaffen. Oskar Körner und seine Mitstreiter warben bei allen alten und jungen Naumburgern in Nah und Fern um Spenden und dieser Ruf verhallte nicht ungehört. Auch Vereine und Körperschaften zeigten ihre Bereitwilligkeit, mit zu helfen. Und so kam es, dass Naumburg einen Festumzug erhielt, der dem Stadtsäckel nicht das geringste kostete. Als Zeichen der Dankbarkeit erhielten die freundlichen Spender geschmackvolle Ehrenurkunden. Ende Mai konnte der Festausschuss, bestehend aus dem Obergildenmeister Oskar Körner, dem Stadtarchivar Hoppe, dem Direktor Bischoff, dem Verkehrsleiter Tollert und dem Kaffeehausbesitzer Furcht optimistisch sein, dass sich die geplanten Feierlichkeiten „mit ähnlichen, zum Teil viel teureren Heimatfesten getrost messen könnten.“

Teil 3 und Schluss:
Die Veranstaltungen vom 9. bis 29. Juni 1928

Das die Festtage herannahten, war schon Wochen vorher im äußeren Stadtbild zu erkennen. Viele Häuser hatten zuvor einen neuen Anstrich erhalten und waren mit Birken, Kränzen und Girlanden an den einzelnen Geschossen geschmückt. Auch über die Straßen hinweg waren Girlanden, zum Teil mit einer goldenen 900 in der Mitte oder mit dem Stadtwappen und Wimpelketten in den Stadtfarben angebracht. Neben dem Straßen- und Hausschmuck nahm die festliche Ausstattung der Schaufenster einen besonderen Raum ein. Viele Geschäftsleute hatten es mit großem Geschick verstanden, ihre Auslagen auf den Charakter der Tage besonders einzustellen. Auch hier dominierten natürlich die Stadtfarben neben u. a. der Darstellung der Stadtansicht, der Naumburger Stadttore und – mauern, dem Wenzel auf dem Marktbrunnen und natürlich der goldenen Jubiläumszahl „900“. Am 9. Juni war es dann soweit, die Feierlichkeiten begannen mit der Eröffnung der „Nauha“, der Naumburger Ausstellung für Industrie, Handwerk, Gewerbe und Gartenbau. Auf der Vogelwiese waren bis kurz vorher umfangreiche Arbeiten zum Aufbau der Zelte und anderen Gebäude sowie deren Einrichtung gelaufen. Dem Obergildenmeister Oskar Körner ist es zu verdanken, dass diese Ausstellung Realität wurde. Zur Eröffnung fand sich eine große Schar Vertreter hiesiger und auswärtiger Behörden, Verbände und Vereinigungen, sowie eine stattliche Zahl Ehrengäste ein. Nach entsprechenden Festansprachen wurde ein erster Rundgang durchgeführt.

Im Naumburger Tageblatt vom 9. Juni 1928 sind die 75 Aussteller und ihre Präsentationen detailliert beschrieben. Am gleichen Tag erschien eine Festausgabe des Naumburger Tageblatts, in der Geschichten aus Vergangenheit und Gegenwart zu lesen waren. Einen breiten Raum nahm u. a. die Beschreibung der Neubauten am Georgentor und der Neugestaltung des Bauernweges ein. Einen Tag später gab es dann den großen Festumzug mit über 1 000 Personen aus Naumburg und Umgebung, darunter über 100 Reiter und 18 Festwagen. Oberstudiendirektor Prof. Dr. Ernst Borkowsky, zuletzt Direktor des Luisen-Oberlyzeums in Naumburg, u. a. auch als Verfasser des Buches „Naumburg a. d. S. Eine Geschichte deutschen Bürgertums 1028 bis 1928“ bekannt, hatte den Plan des Festumzuges entworfen und sich auch wesentlich um die Auswahl der Kostüme gekümmert. Am damaligen Kaiser-Friedrich-Platz, dem heutigen Heinrich-von-Stephan-Platz, trafen sich die einzelnen Gruppen des Festzuges, die Bilder aus der Stadtgeschichte darstellten. Dazu gehörten die Gründung der Handelsstadt Naumburg, die Blütezeit des Naumburger Bürgertums, Luther auf der Reise nach Worms, Einzug Kaiser Karls V. in Naumburg, Gustav Adolf in Naumburg, die Schweden als Feinde, Weinlese im Steinauer’schen Weinberg, Friedrichs des Großen Einzug 1806, dass preußische Hauptquartier, Napoleon in Naumburg, die Jahre 1813, 1816 und 1848, der Ausklang der alten Zeit. Diesen Bildern folgten die Aufzüge der Garnisonen, Innungen und Vereine. Viele Autobusse und eine Reihe von Sonderzügen hatten zahlreiche Gäste nach Naumburg gebracht. Allein am Naumburger Hauptbahnhof wurden über 20.000 Personen gezählt. Die Haupt- und viele Nebenstraßen waren hoffnungslos verstopft.

Die hohen Temperaturen brachten es mit sich, dass eine größere Anzahl von Zuschauern während des über 2 Stunden dauernden Umzuges in Ohnmacht fiel und behandelt werden musste. Für die Teilnehmer des Festzuges war extra Trinkwasser mitgeführt wurden. Die „Nauha“ hatte anschließend einen außerordentlich großen Andrang zu verkraften. Am Abend einsetzender Regen brachte nochmal einen Ansturm auf Busse und Straßenbahnen.

Am 17. Juni, dem letzten Ausstellungstag, gab es auf der „Nauha“ noch einen besonderen Höhepunkt: eine Rose des Züchters Müller aus Almrich, Älteren auch heute noch als Rosenmüller in Erinnerung, wurde auf den Namen „Gruß an Naumburg“ getauft. Am gleichen Tag wurde im Haus Markt 12 feierlich die Ausstellung „Naumburg im Wandel der Zeiten“ eröffnet, eines der wenigen Projekte im Rahmen der Feierlichkeiten, das die Stadt finanziert hatte. In vier Räumen wurden die urkundlichen Grundlagen der Stadtgeschichte, die Entwicklung des Stadtbildes, Naumburg im Jahr 1928 und ein Naumburger Bürgerstübchen gezeigt. Als Abschluss der vom Festausschuss organisierten 900-Jahr-Feier fand am 23. Juni ein buntes Marktfest statt. Die Veranstaltung auf dem festlich geschmückten Platz war als farbige Trachtenschau gedacht, bei der alle Kostüme, die sich irgendwie in die Kulturgeschichte Naumburgs einfügen, willkommen waren. Auf dem Markt war ein großes Gedränge und alle von verschiedenen Gastwirtschaften aufgestellten Tische waren voll besetzt. Gesangliche und turnerische Darbietungen wechselten sich ab mit dem gemeinsamen Gesang von Volksliedern. Mit diesem Marktfest wurden die Feierlichkeiten hinüber geleitet zum letzten Höhepunkt, dem Kirschfest, dass vom 25. bis 29. Juni wie damals üblich veranstaltet wurde.

 

Dieser Text wurde von Gerd Henschel nach Artikeln im Naumburger Tageblatt und in Friedrich Hoppes Erinnerungsbuch zusammen gestellt und auch im Naumburger Tageblatt am 14.10.2023 veröffentlicht.

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