1000 mal Naumburg an der Saale

1000 Orte

Herbert Rosendorfer und die Claudiustraße 18 (Lost Artist 1)

Von

Ralph Steinmeyer

Die Rubrik 1000 Orte beschreibt nicht nur Orte, die es nicht mehr gibt, oder Orte, die von allgemeinem Interesse sind, sondern auch Orte, an denen (berühmte) Künstler lebten. Solch ein Ort ist die Claudiusstraße 18 im Bürgergartenviertel. Hier lebte von 1993 bis zu seiner Pensionierung 1997 Herbert Rosendorfer, Richter am Oberlandesgericht Naumburg. Aber darüber hinaus war er ein Bestsellerautor, dessen äußerst humorigen und gleichsam intelligent geschriebenen Erzählungen und Romane Millionenauflagen verzeichnen.  Einmal war ich bei ihm zu Besuch in der Claudiusstraße, wir saßen im Salon, tranken Kaffee und philosophierten über das Leben in Deutschland und in Naumburg im Besonderen.  Nachfolgend eine Geschichte, die ich nach seinem Tod schrieb.

Hier wohnte Herbert Rosendorfer in seiner Naumburger Zeit

Der Star der Naumburger Salons war Mitte der 90er Jahre der Münchner Schriftsteller Herbert Rosendorfer. Er hatte seinen Bestseller „Reise in die chinesische Vergangenheit“ in der Taschenbuchreihe von dtv vergoldet und neben seinem „Ruinenbaumeister“ beim Verlag Rowohlt noch eine Handvoll Bücher im Rennen. Dabei war er von Hauptberuf gar nicht Schriftsteller, sondern Richter und als solcher war er 1993 nach Naumburg ans Oberlandesgericht gekommen.

OLG Präsident Jürgen Goydke 1994

Das Oberlandesgericht war ein Jahr zuvor, nachdem Aus- und Abzug der sowjetischen Kommandantur, wieder in die alten Räume am Domplatz gezogen. Erster OLG-Präsident war Jürgen Goydke. Dieser war ein kulturell sehr ambitionierter Mensch, ein leicht adlig wirkender, aber zupackender Westdeutscher, der das Oberlandesgericht in den 90er Jahren in das Naumburger Kulturleben einbettete. Man hatte das Gefühl, dass das kulturelle Vakuum, welches der Weggang, oder besser gesagt, die Abwicklung des ebenfalls am Domplatz gelegenen Katechetischen Oberseminars erzeugt hatte, nun von den kulturellen Aktivitäten des Oberlandesgerichts kompensiert wurde. Nicht zuletzt durch den Mix von Richtern, die sich alles andere als elitär gaben, sondern eher als ein Haufen nebenberuflicher Künstler auftraten. Wer nicht zu Lesungen aus seinen Büchern einlud, der spielte zumindest ein klassisches Instrument, veranstaltete kleine Nachtmusiken, oder konnte mit einem Diavortrag über eine spektakuläre Reise aufwarten. Das kam unter den Naumburgern gut an, das Oberlandesgericht war schnell in der Mitte der Stadt angekommen. Und dann der Star, dieser Herbert Rosendorfer, den musste man gesehen haben, erzählte mir die Kulturredakteurin vom Naumburger Tageblatt, Helga Heilig. Sie war überglücklich, dass die Stadt nun so eine Berühmtheit beherbergte und er schien die Reihe der Naumburger Prominenten von Uta über Lepsius und Nietzsche in die Zukunft zu verlängern, obwohl bekannt war, dass er wenige Jahre später pensioniert werden und dann die Stadt wieder verlassen würde.

Herbert Rosendorfer mit dem damaligen Kulturamtsleiter Graf von Matuschka (so etwas gab es mal in Naumburg) bei der Eröffnung einer Ausstellung mit Zeichnungen und Aquarellen von ihm 1996

Als Chefredakteur des Stadtmagazins „Der Naumburger“ wollte ich natürlich eine Geschichte mit ihm machen. Im Juni 1995 fuhr ich mit meiner damaligen Lebensgefährtin für ein paar Tage nach Rom und ich wusste, dass Herbert Rosendorfer auch dort war, er hatte ein Stipendium der Villa Massimo angetreten und arbeitete dort für einen Monat an neuen schriftstellerischen Projekten. Das Sekretariat des Oberlandesgerichts hatte mir seine römische Telefonnummer mit auf den Weg gegeben, die sich vor Ort aber als falsch erwies. „Was nicht sein soll, soll nicht sein“, sagte ich doch zerknirscht über diese mir so vertraute Nachlässigkeit. Es gab ja – nur zur Erinnerung – keine Mobilphones und Googeln war sprachlich noch nicht einmal angedacht. Aber es gab etwas, was man heute dank der technischen Errungenschaften kaum noch erlebt: das Prinzip Zufall. Ich schlenderte tags drauf mit meiner damaligen Freundin über einen kleinen Kunstmarkt an der Via Veneto, dort wo die Straßencafés noch heute gerne daran erinnern, welche Prominenz in den 60er Jahren bei ihnen einkehrte. Bekannt ist der Straßenabschnitt aus dem Fellini Film „la dolce vita“, wo Marcello Mastroianni als Starjournalist mit Paparazzi den Promis auflauerte. Und wer steht dort in Betrachtung einer spärlich bekleideten Göttin eines großformatigen Bildes vertieft: „Il Dottore Rosendorfer!“ Kurze Vorstellung und Erklärung. Ich zeige ihm die Telefonnummer, die man mir im Naumburger Oberlandesgericht gab und er sagt: „Eindeutig falsch“. Und er hat Zeit und freut sich, dass ich mit ihm eine Geschichte über seine neue Wahlheimat Rom machen möchte. Sogleich nimmt er uns mit in die Via Sardegna, gleich um die Ecke und zeigt uns sein kleines Appartement und vor allem, den Ausblick auf das historische Rom. Danach führt er uns in eine kleine Bar auf ein Gläschen Wein und wir reden über Rom, Naumburg und natürlich: Rom.

Der Naumburger, Juli 1995

Genau zwanzig Jahre später liege ich auf dem Bett in der Residenza Santa Maria in Roms kleinem Künstler-Stadtteil Trastevere, die Füße schmerzen wie jeden Tag von den vielen Kilometern, die man wieder durch diese wundervolle Stadt gelaufen ist. Ich lese zum ersten Mal in dem Reiseführer, den mir meine Frau Jahre zuvor vor einer anderen Romreise geschenkt hatte. Da vom ADAC herausgegeben, hatte ich bislang nur den Straßenplan benutzt, den eigentlichen Reiseführer aber ignoriert. Und was lese ich beim Aufschlagen: Rom – von Herbert Rosendorfer. Und mir wird bewusst, dass „mein“ Rom, also die Lieblingsecken und Vorlieben dort, eben die von dem großen Schriftsteller sind. Er zeigte uns vor zwanzig Jahren „sein“ Rom und ich schrieb den Artikel darüber für den „Naumburger“. Ich zitiere: „Mit ihm durch die Straßen von Rom zu ziehen, heißt, überall kleine Geschichten über Häuser und Menschen zu erfahren. Zum Beispiel der „Mandolinenzirper“, ein Original, dass wir am folgenden Tag noch zu hören und vor die Kamera bekommen.

Der Artikel aus dem Stadtmagazin „Der Naumburger“ im Juli 1975

Er war mal Lehrer und heiratete eine blutjunge römische Schönheit. Jahre später ließ er sie 26jährig mit vier Kindern sitzen und verlor seinen Job. Nun zieht er mit seiner Mandoline spielend von Restaurant zu Restaurant. Oder der „Homo all`Onda“, ein ehemaliger Ingenieur, der am Piazza Bernardo in schriller Aufmachung Flugblätter verteilt und manchmal versucht, Autos anzuhalten. Um seinen Hals hat er seinen Personalausweis, wahrscheinlich wegen der häufigen Polizeikontrollen. Charaktere, die zu dem bunten Treiben der Stadt gehören, und wir denken an ähnliche, wenn auch weniger exaltierte Originale aus Naumburgs Öffentlichkeit.  Wie wenig gibt es unter Naumburgern das Bewusstsein, dass deren persönliche Geschichte Teil ihrer Gemeinschaft ist.“

Piazza Santa Maria in Trastevere, Rom

Rosendorfer zeigte uns damals die schönsten Plätze der Stadt, ob Piazza Novona, dell Campo oder Santa Maria in Trastevere, wir tranken Kaffee in dem ältesten Cafe, dem Antico Caffè Greco, wo schon Goethe seinen Espresso trank und auch am Piazza St. Eustachio, wo man den besten von ganz Rom bekommt, und wo der Dottore bekannt war, und auch als solcher begrüßt wurde. Ich ahnte damals nicht, dass er selber gerade für sein Rom-Buch recherchierte, nicht für das vom ADAC, sondern ein Eigenständiges gleichen Namens. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, in Naumburg zu bleiben, antwortete er damals: „Das war nie angedacht.“ Aber Rom wäre eine Option. Ein Jahr später zog er mit seiner jungen Frau und neugeborenen Kind weder nach Rom, noch nach München zurück, sondern in seine Vorkriegsheimat, wo er als Junge unbeschwerte Jahre verbachte, in die Nähe von Bozen.  Im September 2012 verstarb er dort nach schwerer Krankheit, mich erreichte die Nachricht über Freunde und ich gab sie an die hiesige Tageszeitung weiter. So gab es auch eine kleine Trauergemeinde in Naumburg, die sich der kurzen Phase erinnerte, als Naumburg Wahlheimat dieses großen Weltenbürgers war.

Antico Caffè Greco, Via dei Condotti, 86

Während meines Aufenthalts in Italien dachte ich an die vielen Persönlichkeiten, die vor Jahrzehnten „mein“ Italien bedeuteten – wie anders war Italien und Rom heute. Alles etwas gleichgeschaltet, egal ob Italiener oder Deutsche, alles ist sich ähnlicher geworden, mal davon abgesehen, dass die Italiener immer noch einen gehörigen Schlag hübscher sind. Aber auch ein Rosendorfer oder ein Goydke, diese Generation, die sich in direkter Linie mit Goethe und Beethoven sah, diese Intellektuellen, die facettenreich die Welt betrachteten – es gibt sie nicht mehr. Nun ist meine Generation an der Macht, oberflächlicher und schnelllebiger. Nicht mit Goethe und Deutscher Klassik bin ich aufgewachsen, sondern mit Jimi Hendrix und Andy Warhol, und alles was man zum Leben braucht, holt man sich über Google.  „Times Are Changing“, sang Bob Dylan in den Sechzigern. Mit Erschrecken stelle ich fest, das ist auch schon lang vorbei.

 

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