1000 mal Naumburg an der Saale

1000 Orte

Die alte Villa am kalten Tal (Lost Places 8)

Von

Uwe Wenzel / Ralph Steinmeyer

„Am kalten Tal“ ist eine Seitenstraße der Kösener Straße  und führt den Berg hinauf zum Flemminger Weg. Diese Straße hat schon viele Straßennamen gehabt wie keine andere. Der Ursprung soll wohl mal Schwalbenhohle gewesen sein. Es folgte der Name: Weg nach dem Sperlingsholz. Ob die Straße auch mal Weg nach der Altenburger Ziegelei offiziell oder nur im Volksmund so hieß ist nicht mehr genau bekannt.

Dann wurde die Straße nach einem Militär Major Namens von Naundorf ernannt. Sie nannte sich dann Naundorfweg bis 1949. Der Major hatte im Sperlingsholz was damals 7 Eichen hieß eine Villa, 7 Eichen Nr.119, später dann Naundorfweg Nr. 30. Laut Eintrag im Naumburger Adressbuch von 1928 / 29 wohnte dort  Frau von Naundorf, Elise (Witwe).

Ab 1934 wohnte Friedrich Lamberty, genannt Muck Lamberty mit seiner Frau Paula (geb. Lenkheit, gest. 1968) gemeinsam mit 5 Kindern  für 115 RM Miete im Monat im Landhaus „Siebeneichen“ (Flemminger Weg 85) mit einem 55 Meter tiefen Hausbrunnen. Muck und Paula heirateten am 7. April 1926. Sie stammt aus Ostpreußen. Muck Lamberty war ein Holz-Kunsthandwerker und ein Vertreter der Lebensreform- und Jugendbewegung und einer der bekanntesten sogenannten Inflationsheiligen der 1920er Jahre. Mit seiner „Neuen Schar“, einer Gruppe von jungen Frauen und Männern lebte er erst auf der Leuchtenburg bei Kahla. Man zog durch Thüringen, tanzte und musizierte in den Städten, in Erfurt sollen es an die 10.000 begeisterte Zuschauer auf dem Domplatz gewesen sein. In Naumburg lies sich ein Teil der Gruppe mit Muck Lamberty nieder. Hermann Hesse erwähnte ihn in seinem Buch „Die Morgenlandfahrt“. Man produziert und drechselt Nützliches aus Holz. Während des Zweiten Weltkrieges liefert Muck Lamberty Bastelbedarf an die Kaserne Flemminger Weg. Danach unterhält man eine Werkstatt unterhalb vom Dom, die zu DDR Zeiten VEB Holz und in Nachwendezeiten die Werkstatt der Töpferei Wolf war. In den 50er Jahren verließ Muck Lamberty Naumburg in Richtung Westerwald. Ein Urenkel von ihm wohnt mittlerweile oberhalb der Weinberge. Das Thema Muck Lamberty wird an anderer Stelle ausgiebiger behandelt werden.

Nun aber zurück zu der Villa, die heute in einem schlechten baulichen Zustand, sozusagen dem Zerfall preisgegeben ist. Sie liegt in einem Waldstück etwas höher als die Holländer Mühle, nur wenige Meter von den Neubauten in einer Seitenstraße des Flemminger Wegs. Aus einem Artikel des Naumburger Tageblatts: Der Wunsch, dass das einst schmucke Gebäude am Flemminger Weg mal wieder zu altem Glanz findet, scheint nicht in Erfüllung zu gehen. Wie Barbara Herrmann, Geschäftsführerin der Vereinigten Naumburger Waisenversorgungsanstalt, der das Gelände gehört, dem Gemeinderat berichtete, habe sich der bauliche Zustand massiv verschlechtert. „Mir blutet das Herz. Aber es macht keinen Sinn, dort zwei Millionen Euro hineinzustecken, zumal wir das Geld momentan gar nicht haben und das Gelände außerhalb jeglicher Fördergebiete liegt.“ Auf Nachfrage von Tageblatt / MZ meinte Herrmann, man müsse die Villa, in der bis 1951 der Kunsthandwerker Muck Lamberty mit seiner Schar wohnte, „eigentlich abreißen“, habe aber auch dafür kein Geld. Ein Verkauf des Areals sei momentan auch nicht geplant – auch, da für eine neue Bebauung erst der Bebauungsplan geändert werden müsste.

Naumburger Tageblatt vom 22.6.2018

Nun abschließend, kann man froh sein, dass die Ruine noch geblieben ist und nicht aus der Geschichte getilgt wurde. Lieber im schlechten Zustand als gar nicht, oder? Und die Hoffnung (auf Restaurierung) stirbt bekanntlich nie. Siehe Reichskrone, siehe Drei Schwanen, siehe….

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